MosGiTo fragt … Katja Naumann

MosGiTo fragt …

… Reisende mit Behinderung nach ihren Erfahrungen, Erwartungen und Wünschen an die Reisebranche. Im dritten Teil der Serie antwortet Katja Naumann.

Die Germanistin hatte in ihrer Funktion als Pressereferentin des Sächsischen Sozialministeriums eine strikte Devise: Keine Publikation verlässt das Haus ohne barrierefrei zu sein! Sie wurde selbst zur Expertin für barrierefreie PDFs. Dass Barrierefreiheit auf Reisen wichtig ist, weiß sie nicht nur durch ihre aktuelle Tätigkeit als Leiterin des Büros der Staatsministerin für Kultur und Tourismus, sondern auch aus eigener Erfahrung: Auf Grund einer Muskelerkrankung sitzt Frau Naumann überwiegend im Rollstuhl.

Das Interview wurde im September 2020 geführt.


Frau Naumann, Sie sind für Ihre Mobilität auf einen Rollstuhl angewiesen. Auf welche Barrieren stoßen Sie, wenn Sie in Ihrer Freizeit oder im Urlaub unterwegs sind?

Eigentlich stoße ich auf die gleichen Barrieren wie im Alltag: Barrieren am Bau und Barrieren in den Köpfen. In den Städten sind es die unterschiedlich hohen Bordsteine, der gefühlte Zwang zum Kopfsteinpflaster und die selten durchdachten Parkplätze für Menschen mit Behinderungen. Ich reise viel mit dem Auto, da erlebe ich es immer wieder, dass Behindertenparkplätze zwar da sind, aber der Platz zum Ausladen des Rollstuhls nicht ausreicht, oder die Situation immer wieder dazu einlädt, Fahrzeuge auf den Behindertenparkplätzen zuzuparken.

Letzteres ist auch ein schönes Beispiel für Barrieren in den Köpfen. Ich erlebe hier immer wieder sehr viel Positives und sehr viel Negatives. Dieses Jahr war ich im Urlauab in Tirol. Mein Ausflug auf die Zugspitze ist ein Positivbeispiel. Alle Mitarbeiter waren hilfsbereit und äußerst freundlich – und das auf Augenhöhe. Wer hätte gedacht, dass ich im Rolli mal auf den höchsten Punkt Deutschlands komme. Toll!

In den Hotels sind die Barrieren oft gering, aber vermeidbar. Meist sind die Dinge einfach nicht mit Menschen mit Behinderungen zu Ende gedacht. Auch hier war das diesjährige Hotel ein Positivbeispiel. Die Rezeption war auf Stuhlhöhe und vor allem unterfahrbar. Das Restaurant war großzügig geschnitten. Buffet gab es aufgrund der Corona-Vorschriften nicht, wäre aber auch für mich machbar gewesen. Das Badezimmer hatte eine Schiebetür – das ist immer toll für die Bewegungsfreiheit. Die Stufe zum Balkon war fast ebenerdig, die Dusche war es. Das Bett war auf einer Seite mit dem Rolli anfahrbar. Aber… Die Türen zu den Gängen, in denen sich die Zimmer befanden, waren nicht elektrisch und die Tiefgarage hatte keinen größeren Parkplatz. Alles Dinge, die sich einfach regeln ließen.


Haben Sie das Gefühl, die Tourismusbranche engagiert sich bereits für das Thema Barrierefreiheit? Was erleben Sie im Urlaub denn als besonders wohltuend im Zusammenhang mit Ihren Bedürfnissen?

Auch hier ist es wie in meinem Alltag: Es steht und fällt mit den Menschen. Ich glaube schon, dass die Branche an sich Interesse an Barrierefreiheit hat. Aber ich erlebe immer wieder, dass vielen gar nicht klar ist, was Barrierefreiheit bedeutet, und wie man diese auch „in schön“ umsetzen kann. Viele glauben, ein Hotelzimmer für Menschen mit Behinderungen sieht am Ende aus wie ein Zimmer im Krankenhaus. Das ist völliger Unsinn. Nur ein Beratungsgespräch mit einem Rollstuhlfahrer und Hoteliers und Gastronomen wüssten, dass Barrierefreiheit kein Teufelszeug ist, und Menschen mit Behinderungen auch ohne professionellen Unterstützungsdienst verreisen können. Viele haben einfach keine Vorstellungen. Dass sie diese nicht haben, ist nicht schlimm. Woher auch? Schon die Einsicht darüber, dass sie keine Vorstellungen haben können, würde aber viel ändern. Dann beginnen Kommunikation und der Weg zu Verbesserungen.

Mir ist am wichtigsten, dass ich als Gesprächspartner auf Augenhöhe wahrgenommen werde. Ich erlebe immer wieder, dass meine Begleitung gefragt wird, ob es mir geschmeckt hat – um mal nur ein Beispiel zu nennen. Ich kann schlecht laufen, ich bin nicht blöd. Schon bei der Begrüßung merke ich, ob mein Gegenüber Vorurteile hat oder mich zumindest in eine Schublade steckt, die er oder sie für sein Denken gezimmert hat. Aber auch hier sind es leider die schwarzen Schafe, die mehr in Erinnerung bleiben. Ganz viele Menschen sind nicht wie gerade beschrieben. Das ist so wertvoll und sollte wohl auch von uns Menschen mit Behinderungen mehr gewürdigt werden.


Haben Sie Tipps für Servicemitarbeiter für den Umgang mit behinderten Gästen?

Nehmen Sie Menschen mit Behinderungen genauso ernst wie jeden anderen Gast. Egal, ob Ihr Gast nichts hören kann, ob er schlecht oder gar nicht laufen kann oder ob er Dinge nicht so schnell versteht, wie man vielleicht vermutet: Ein Gast ist ein Gast. Und jeder Gast hat denselben Respekt verdient.

Und glauben Sie bitte nicht zu wissen, was ein Mensch im Rollstuhl so für Bedürfnisse hat. Ich erinnere mich noch wie heute, als mich ein Mitarbeiter, der das sehr nett meinte, anfing zu schieben, um mir das Hotel zu zeigen und zu meinem Zimmer zu bringen. Mal davon abgesehen, dass es für Ungeübte gar nicht so einfach ist, einen Rollstuhl zu schieben, können die meisten Rollstuhlfahrer das schon sehr gut allein. Bieten Sie stattdessen freundlich und verbindlich Ihre Hilfe an. „Wenn ich Ihnen helfen kann, geben Sie mir gern Bescheid. Sie finden mich in… / Sie erreichen mich unter…“. Mehr braucht es nicht. Ehrlich. Glauben Sie mir.


Und was wünschen Sie sich persönlich von der Reisebranche?

Ich wünsche mir, dass Barrierefreiheit nicht mehr als dieses „Zeug für die Behinderte“ wahrgenommen wird. Jede Rampe hilft auch den Eltern mit Kinderwagen oder den Fahrrad-Trekkis. Jeder sprechende Fahrstuhl hilft auch älteren Menschen. Jede Automatik-Tür macht auch den Mitarbeitern das Leben leichter, zum Beispiel wenn sie mit dem schweren Putzwagen von Gang zu Gang müssen. Ein einziges Gespräch mit einem Menschen mit Behinderungen hilft da schon. Auch bei der Erkenntnis, dass es hundertprozentige Barrierefreiheit nicht gibt. So können viele Maßnahmen für Rollifahrer für blinde Menschen zur Barriere werden. Ich sage immer: Reden hilft. Und denken noch viel mehr. Eine Tour durchs Hotel, um bei dem Beispiel zu bleiben, mit einem Rollstuhlfahrer würde vielen Hoteliers die Bedenken zu diesem Thema nehmen.

Sie haben nicht nur persönlich mit dem Thema Barrierefreiheit im Tourismus zu tun, sondern auch beruflich. Jetzt erst recht, weil Sie im Sächsischen Ministerium für Kultur und Tourismus tätig sind. Aber auch vorher bereits: Während Ihrer Tätigkeit in der Pressestelle des Sächsischen Sozialministeriums hatten Sie die Devise, sämtliche Veröffentlichungen des Ministeriums barrierefrei zu gestalten und sich dabei tief in die Thematik der barrierefreien PDFs und Internetseiten eingearbeitet. Was empfehlen Sie Touristikern diesbezüglich? Sollten auch im Tourismus alle digitalen Veröffentlichungen in barrierefreier Form erfolgen?

Unbedingt! Aber auch hier gilt: Das ist kein Teufelszeug. Viele Dinge werden bereits umgesetzt, ohne dass der Touristiker das merkt oder weiß. Viel wichtiger aber auch hier: Es hilft immer auch allen Gästen. Eine Bildbeschreibung auf der Webseite zum Beispiel wird nicht nur blinden Menschen vorgelesen, diese wird meist auch angezeigt, wenn das Bild an sich nicht angezeigt werden kann. Ein barrierefreies PDF ist in der Regel kleiner als ein druckbares PDF und kann somit auch mobil vom Gast heruntergeladen werden.


Wie könnten Tourismusunternehmen das umsetzen? Was empfehlen Sie als Vorgehensweise in der Praxis?

Ich sehe hier vielmehr Grafikdesigner und Webdesigner in der Pflicht. Sie können Barrierefreiheit mit einfachen Schritten umsetzen. Der Touristiker selbst muss sich weder mit dem Thema wirklich auskennen, noch muss er Arbeitszeit darin investieren. Aber natürlich können sich Touristiker hier einbringen, indem sie Barrierefreiheit verlangen. Angebot und Nachfrage. Schaffen wir also gemeinsam die Nachfrage.


Frau Naumann, ich danke Ihnen sehr für das Interview.