tour de sens - der inklusive Veranstalter, der Augen öffnet

Mit blinden Menschen unterwegs zu sein, verändert die eigene Perspektive. Davon sind Johanna und Laura Kutter überzeugt, als sie vor 10 Jahren den Reiseveranstalter „tour de sens“ gründen. Ich teile diese Erfahrung und freue mich jedes Mal, wenn ich eine der tour de sens-Reisen leiten darf. So zum Beispiel Mitte Juli in Oberfranken.

Aber von vorne. Was ist das Besondere an tour de sens?

Tour de sens veranstaltet Reisen für blinde, sehbehinderte und sehende Menschen, und zwar Wander- oder Studienreisen in Gruppen, in denen alle profitieren: Blinde und sehbehinderte Gäste profitieren von besonders auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Reisen, samt Begleitperson sofern erforderlich. Sehende Gäste profitieren von intensiven Reiseerfahrungen, denn wer in Worte fasst, was er sieht, reist bewusster und das Gesehene prägt sich ein. Wer noch nie zuvor direkten Kontakt mit blinden oder sehbehinderten Menschen hatte, wird zusätzlich noch um die Erfahrung reicher, dass eine Sehbehinderung das Reiseverhalten nicht einschränken muss.

Wie vermittelt man „Sehens“würdigkeiten an blinde und sehbehinderte Menschen?

Neben den bereits erwähnten Beschreibungen gibt es tolle Möglichkeiten, die anderen Sinne anzusprechen. Typische Kulinarik verkosten, Düfte einbauen (z.B. im Kräutergarten oder in der Kaffeerösterei) oder Klänge, wobei Musik genauso attraktiv sein kann wie erholsame Stille. Auch der Tastsinn hilft vielen blinden Menschen (Achtung, nicht allen!) bei der Erkundung der Umgebung. Tastmodelle von Städten oder einzelnen Gebäuden können manches veranschaulichen, auch das Erfühlen von Gesteins- oder Stoffproben können informativ sein. Insgesamt fällt schnell auf: vieles von dem, was man speziell für blinde und sehbehinderte Gäste ins Programm nimmt, bereichert auch das Erlebnis für die Sehenden.

Meine augenöffnenden Erlebnisse als Reiseleiterin für tour de sens

Für mich als Reiseleiterin haben die Reisen mit tour de sens einen ganz besonderen Mehrwert. Selten erlebt man so ein angenehmes Gruppengefühl, so ein kommunikatives und offenes Miteinander. Außerdem werden mir tolle Einblicke gewährt in die Welt der blinden und sehbehinderten Menschen, die mir von ihrem Alltag berichten und die ich durch die Begleitung auf Reisen als Freunde auf Augenhöhe gewinne.

Ich erinnere mich an eine interessante Diskussion über eine neue App, die Joghurtbecher zu Hause im Kühlschrank scannt und die Geschmacksrichtung ansagt – einige blinde Gäste fanden das eine tolle Neuerung, andere fanden das total überflüssig nach dem Motto „ich kauf doch eh nur Joghurt, den ich mag, da ist es mir doch egal, ob ich heute den Heidelbeer-Joghurt und morgen das Bircher Müsli esse oder andersrum“. – Hm. Wäre für mich eigentlich nicht egal, aber diesen kleinen Luxus, immer genau zu wissen, was ich esse, hatte ich mir vorher nie bewusst gemacht… Oder die berühmte Frage, was ein blinder Mensch eigentlich träumt – in Paris hatte ich darüber ein tolles Gespräch beim Frühstück.

Durch meine Reiseleitungen für tour de sens sind mir die Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Reisender glasklar vor Augen – was auch der Qualität meiner Schulungen zugutekommt. Allerdings wurde mir mit dem Blick aus der Veranstalter-Brille leider auch etwas anderes klar: Der Destinationsbereich, in dem ich mein vorheriges berufliches Leben verbracht hatte, ist für die Zusammenarbeit mit Veranstaltern – vor allem wenn sie spezialisiert sind – oft schlecht aufgestellt. Zuletzt musste ich die Erfahrung machen auf meiner Kurz mal raus-Tour für tour de sens nach Oberfranken. Ich nehme vorab Kontakt auf mit der Tourist-Information in Bamberg und frage nach Tastmodellen in der Stadt und die Antwort lautet: Ja, da hatten wir mal welche und die müssten auch noch da sein…

Was wünscht sich Inhaberin Laura Kutter von der Tourismusbranche?

Laura Kutter würde sich deshalb speziell von Tourist-Infomationen mehr zuverlässige Unterstützung wünschen.

  • In der Tourist-Info muss bekannt sein, ob es Tastmodelle in der Stadt gibt oder besondere Orte, an denen man z.B. durch andere Sinne blinden Menschen den Ort näherbringen kann. Wo gibt es ruhige Orte oder besondere Akustik, Düfte oder Verkostungen auf die Hand – und wo saubere Toiletten?
  • Führungen speziell für blinde und sehbehinderte Menschen buchbar im Programm zu haben, und zwar nicht nur die Standard-Altstadtführung sondern vielleicht auch die Führung „Auf den Spuren lokaler Brauereien“ oder was sonst so im Programm für alle ist, wäre ein weiterer wünschenswerter Vorteil für den Veranstalter. Aktuell macht Laura Kutter viele Führungen einfach selbst, weil sie schon oft die Erfahrung gemacht hat, dass sich das angebotene Programm nicht oder zu wenig an den Bedürfnissen blinder und sehbehinderter Menschen orientierte und Gästeführer*innen keine Informationen über die spezifischen Anforderungen haben, geschweige denn Erfahrungen mit einer blinden- und sehbehindertengerechten Führung gemacht hatten.
  • Bei Programmempfehlungen sollten blinde und sehbehinderte Menschen nicht unterschätzt werden. Wenn nach einem Wanderweg gefragt wird, müssen es nicht ausschließlich asphaltierte Strecken sein. Blinde Menschen können mit unwegigem Gelände genauso umgehen wie mit Steigungen und langen Touren – oder sie kommen aus der Puste, aber das ist bei sehenden Menschen dann genauso häufig der Fall…

Im Hotel steht die bauliche Barrierefreiheit für diese Personengruppe im Hintergrund. Viel wichtiger ist der sensible Umgang des Personals mit den Gästen, die z.B. Unterstützung beim Auffinden des Zimmers benötigen (zumindest beim ersten Gang dorthin) oder am Frühstücksbüffet.

Und Sie, liebe Leserin, lieber Leser?

Wie geht es Ihnen als Touristikerin oder Touristiker mit der Zielgruppe der blinden und sehbehinderten Gäste? Wäre eine Reise mit tour de sens vielleicht auch für Sie hilfreich – beruflich und persönlich? Sie können sich als sehender Gast jederzeit anmelden – auch ohne Vorerfahrungen. Und das Reiseangebot ist soo vielfältig!!

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