Der Reisemaulwurf

Der Reisemaulwurf – Reisen mit / trotz Pflegebedürftigkeit

André Scholz, ein Mann mitteren Alters mit kurzem Bart und Brille

Ein Mann, eine Vision: Reisen für pflegebedürftige Menschen – das ist es, was André Scholz mit seinem Verein Reisemaulwurf e.V. ermöglichen möchte.

André Scholz ist einer der MosGiTo-Partner, die sich aus vollstem Herzen heraus für Barrierefreiheit einsetzen. In der Kategorie „Weggefährten” gibt MosGiTo Einblicke in die Arbeit dieser Partner.

Herr Scholz, lieber André, kannst Du uns in 5 Sätzen erklären, was der Reisemaulwurf e.V. macht?

Wir kümmern uns deutschlandweit um Auszeit und Erholung für hilfe- und pflegebedürftige Menschen sowie ihre pflegenden Angehörigen. Wir beraten kostenlos, insbesondere telefonisch, im Berliner Raum aber auch persönlich, zum individuellen Reiseerlebnis. Doch der Bedarf für unser Angebot ist enorm und wächst – nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie hoch der Druck auf der Pflege lastet. Erst, wenn „Reisen für alle” in der Mitte der Gesellschaft angekommen und selbstverständlich ist, ist die soziale Teilhabe gelungen. Gleichzeitig setzt der Verein auch auf der Angebotsseite an und animiert die Tourismusbranche, mehr Reiseangebote zu schaffen, die für pflegebedürftige Menschen geeignet sind.

Kurz zum Hintergrund: Wie kamst Du auf die Idee, den Reisemaulwurf zu gründen?

Tatsächlich durch jahrzehntelange private und berufliche Erfahrung: Ich bin selbst examinierter Altenpfleger und habe viele Jahre als Fachkraft im ambulanten und stationären Altenpflegebereich, Pflegeberater und Case Manager gearbeitet. Auch hatten wir jahrelang eine Pflegesituation in der eigenen Familie.

Dabei musste ich immer wieder feststellen, dass es kaum Angebote und wenig Beratung zum Thema Auszeit und Erholung für pflegebedürftige Menschen und deren pflegende Angehörige gibt. Bei Hausbesuchen hängen oft Urlaubsbilder an der Wand – aber wenn eine Pflegesituation eingetreten ist, denkt keiner mehr ans Reisen, obwohl eine Auszeit für alle dringend notwendig wäre.

Um das zu ändern, habe ich zunächst eine Reisebörse ins Leben gerufen, bei der Menschen, die in der Pflegeberatung tätig sind, sich über die Reisemöglichkeiten für Pflegebedürftige und deren Angehörige informieren konnten. Die Reisebörse lief drei Jahre lang erfolgreich, dann wollte ich mehr – ich wollte permanent Brücken schlagen. 2016 habe ich den Verein Reisemaulwurf gegründet, der seit Februar 2017 die Anerkennung der Gemeinnützigkeit hat. Und der Erfolg gab mir Recht: Der Verein Reisemaulwurf stieß von Anfang an auf großen Zuspruch.

Tun pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen sich denn leicht damit, das Thema Reisen doch wieder zu denken, wenn sie vom Reisemaulwurf hören?

Nein. Viele denken, dass dieser Traum nun ausgeträumt ist und Reisen nicht mehr möglich sind mit Pflegebedürftigkeit. Ich sehe jeden Tag wie belastet Familien oder pflegende Ehepartner und Ehepartnerinnen sind. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, wie selbstverständlich und gerne heute Pflegebedürftige früher gereist sind. Im Beratungsgespräch gilt es darauf einzugehen, Mut zu machen, Fantasie, Träume und Erinnerungen wecken – und schrittweise aufzuzeigen, dass Reisen möglich sind. In der Regel sind die Menschen dann schnell hellhörig – das grundsätzliche Bedürfnis, zu reisen und Auszeit vom Alltag zu erleben, ist immer noch da. Viele freuen sich, wenn ihnen jemand Mut zuspricht: Ja, Sie können noch verreisen – trotz Pflegebedürftigkeit! Deshalb sind persönliche Beratungen in diesem Segment sehr wichtig – und auch, weil die Bedürfnisse so unterschiedlich sind, auch bei gleicher Diagnose.

Es gibt aber auch nicht wenig Familienangehörige, die im Internet nach Angeboten suchen, um zum Beispiel ihren Eltern mit Hilfe- und Pflegebedarf einen Urlaub zu ermöglichen. Das kann allein sein, mit Pflege und Betreuung am Urlaubsort oder in Begleitung der Kinder und weiteren Familienangehörigen.

Einige Menschen sitzen vergnügt auf der Mauer einer Brücke am Strand. André Scholz dabei, ein Rollator steht an der Seite.

Was wünschen pflegebedürftige Menschen sich von der Tourismusbranche? Welche Angebote gibt es bereits, die gut funktionieren, welche fehlen schlicht und einfach noch?

Eigentlich bin ich ja gelernter Koch und habe vor fast 20 Jahren den Diplom-Pflegestudiengang abgeschlossen mit der Idee im Kopf, durch ein eigenes Pflegehotel Gastronomie, Hotellerie und Pflege zu kombinieren. Das eigene Hotel blieb bisher ein Traum, aber einige wenige Vorreiter gibt es mittlerweile bereits. Einen Überblick gibt es auf der Internetseite des Reisemaulwurfs.

Zum Punkt „was noch fehlt”, kann ich dir tatsächlich verschiedenste Beispiele nennen. Viele pflegende Angehörige wünschen sich eine Betreuung für den Pflegebedürftigen, stundenweise oder tagesweise, so wie es sie beispielsweise am Wohnort in einer Tagespflege gibt. Solche Angebote gibt es kaum.

Oft wird auch ein Haustürservice nachgefragt, da viele ältere pflegende Angehörige nicht mehr Auto fahren und die An- und Abreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich ist. Das ist ein extrem großes Hindernis, da individuelle Fahrdienstleistungen häufig kostspielig sind.

In etwa der Hälfte der Reiseberatungen geht es um Pflege am Urlaubort. Das hängt mit dem Alter, der Diagnose und dem Pflegegrad des Pflegebedürftigen zusammen. Leider fehlt es hier an der Zusammenarbeit zwischen Tourismus (Hotel) und Pflege (Pflegedienst am Urlaubsort). Zunehmend fehlen aber schlichtweg die Kapazitäten der Pflegedienste, um Leistungen im Hotel oder Ferienwohnung anbieten zu können – Stichwort massiver Personalmangel.

Schwierig ist es geeignete Angebote zu finden. Für unsere Recherche ist die Datenbank „Reisen für Alle” sehr hilfreich, aber nicht jeder Anbieter ist in der Datenbank. Die Bereitschaft, Pflegebedürftige und deren pflegende Angehörige anzusprechen, ist oft nicht sehr hoch, dabei steckt darin so viel Potenzial! Ein gutes Angebot kann außerdem nur gefunden werden, wenn es entsprechend kommuniziert wird.

Ein weiterer Punkt: Das Personal im Tourismus muss für diese Zielgruppe speziell geschult sein. Sie müssen wissen, welches Verhalten bei welchem Gast erforderlich ist und wie sie Umgang und Kommunikation gestalten.

Du hast auch davon gesprochen, dass du Brücken zum Tourismus baust. Wie kann die Tourismusbranche vom Reisemaulwurf profitieren?

Zunächst lass mich an dieser Stelle noch einmal betonen, dass es noch viel zu wenig Angebote für die etwa 4,5 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland gibt. Bis 2030 sollen es sogar bis zu 5 Millionen werden. Der Markt und die Nachfrage wachsen stetig – ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber die Chance, diesen Menschen eine Perspektive auf Erholung zu bieten, sollte man nicht verpassen und den demografischen Wandel nicht ignorieren.

Die Tourismusbranche kann durch uns dabei auf verschiedene Arten profitieren. Zum einen fungiert der Reisemaulwurf als Schnittstelle zwischen Tourismus und Pflege. Wir haben ein riesiges Netzwerk mit Kontakten in Kommunen, Ämtern, Vereinen und Verbänden. Gemeinsames Auftreten und Kommunikation, beispielsweise auf Pflegekongressen, können den Grundstein für eine Zusammenarbeit, gegenseitiges Lernen und Produktentwicklung legen. Dafür könnten touristische Anbieter beispielsweise Fördermitglieder im Verein werden und werden dann auch auf der Internetseite präsentiert. Reinschauen lohnt sich!

Darüber hinaus können touristische Anbieter von meinem Fachwissen profitieren: Ich kann Screenings und Assessments für die Zielgruppe durchführen, als Ansprechpartner für individuelle Fragen von Gästen dienen und als Berater für touristische Unternehmungen gebucht werden.

Denn eines steht fest: Die Vision „Reisen für alle” können wir nur verwirklichen, wenn wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen.

Lieber André, vielen Dank für das Gespräch und Dein großes Engagement!

Zur Internetseite des Reisemaulwurfs