Wording – wer findet das korrekte Wort?

Wer sich mit Barrierefreiheit im Tourismus beschäftigt, stolpert immer wieder über Begrifflichkeiten. Was ist denn ein „barrierefreies Hotelzimmer“ und wie unterscheidet es sich bitte von einem „rollstuhlgerechten Hotelzimmer“? Soll ich meine Zielgruppe, also die Betroffenen, mit „behinderte Menschen“ oder mit „Menschen mit Handicap“ ansprechen? (Übrigens sind sowohl „Zielgruppe“ als auch „Betroffene“ bereits zwei Begriffe, über die man diskutieren kann…) Nicht nur die Tourismusbranche tut sich schwer mit den Begriffen. Vielerorts werden Angebote geschaffen, aber wenig darüber gesprochen – man weiß oft einfach nicht, wie man das Kind nennen soll.

Definitionen

Für wenige der Begriffe, die verwendet werden, gibt es Definitionen. „Barrierefreiheit“ ist im Behindertengleichstellungsgesetz definiert, „Behinderung“ im Sozialgesetzbuch, „rollstuhlgerechte“ und „barrierefreie“ Zimmer in einigen Landesbauordnungen – aber werden denn immer die dort hinterlegten Definitionen mitgedacht, wenn landläufig von Barrierefreiheit und Behinderung gesprochen wird? Mitnichten! Wer sich die gesetzliche Definition von Barrierefreiheit einmal angesehen hat, weiß, dass man wohl kein Hotelzimmer der Welt als barrierefrei bezeichnen dürfte.

Bisherige Praxis

Selbst Akteure, die seit vielen Jahren im barrierefreien Tourismus aktiv sind, sind sich uneinig. Während Sachsen seine Broschüre immer noch mit „Sachsen barrierefrei“ betitelt, setzt sich in anderen Destinationen eher der Zusatz „für Alle“ durch – nicht zuletzt auch beim bundesweiten Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“. Die Arbeitsgemeinschaft der Destinationen, die als Vorreiter im barrierefreien Tourismus gelten, hat sich erst letztes Jahr umbenannt von „AG barrierefreie Reiseziele“ zu „AG Leichter Reisen“ – die Frage nach dem Erfolg dieser Maßnahme steht noch im Raum.

Neue Wege in der Zielgruppenansprache

Immer wieder tauchen auch neue Begriffe in diesem Zusammenhang auf. Das Problem: Die Tourismusbranche baut Barrieren ab, nicht nur für Menschen mit Behinderung wie rollstuhlfahrende, blinde und gehörlose Menschen, sondern sie hat dabei auch ältere Menschen im Kopf, die zwar zunehmend aus gesundheitlichen Gründen auf Barrierefreiheit angewiesen sind, gleichzeitig aber nicht auf Schlagwörter wie „barrierefrei“ oder „behindertenfreundlich“ reagieren. So entstehen „Komfortleistungen“ für „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ oder „Travel in style and comfort“ – Formulierungen, bei denen die Schreiberin oder der Schreiber die Zielgruppe im Blick hat – ob die Zielgruppe das versteht, ist allerdings in vielen Fällen unklar.

Die Eigensicht derer, um die es geht

Cartoon: Ein Mensch fragt einen Rollstuhlfahrer und eine blinde Frau: Behinderte oder Mensch mit Behinderung ... wie nennt Ihr Euch denn selber? Der Rollstuhlfahrer antwortet: Rainer. Die blinde Frau antwortet: und ich bin die Sabine.

Wenn man Menschen mit Behinderung fragt, wie sie angesprochen werden möchten, gibt es ebenfalls keine klare Antwort. Oft wird die Individualität der einzelnen Menschen hervorgehoben. Man möchte gar nicht als Gruppe angesprochen werden, denn das impliziert ja Homogenität und homogen ist die Gruppe von Menschen mit Behinderung tatsächlich überhaupt nicht.

Fazit

Ich persönlich glaube, dass diese Suche nach der korrekten Begrifflichkeit ein Grund dafür ist, warum sich viele Tourismusakteure vom Thema abgeschreckt fühlen. Man kann es doch eigentlich nur falsch machen – da lässt manch einer lieber die Finger davon. Und wenn man sich doch traut, Angebote schafft und sogar veröffentlicht, kommt mit Sicherheit einer, der etwas zu meckern hat (oft an den Begrifflichkeiten…) Das ist sehr schade und damit stehen sich diejenigen, die einen echten Nutzen von Barrierefreiheit im Tourismus haben, leider selbst im Weg. Auf der anderen Seite wiederum verständlich, denn: Wer bitte könnte den einen richtigen Ausdruck denn bestimmen? Es kann nicht einer für alle sprechen.
So lange es aber keine festen Begriffe gibt, müssen beide Seiten kompromissbereit sein: Diejenigen, die sich über Barrierefreiheit freuen, sollten ein Auge zudrücken, wenn sie nicht 100 % so angesprochen werden, wie sie sich wohl fühlen. Und wir Touristiker sollten Verständnis für die Sensibilität dieses Themas haben, uns wirklich mit den Menschen beschäftigen, Beschwerden hinterfragen – aber letztlich auch einfach weiter Formulierungen ausprobieren und die nutzen, die für uns stimmig scheinen.

Definition von Barrierefreiheit im Behindertengleichstellungsgesetz

Definition von Behinderung im Sozialgesetzbuch IX

Warum „Handicap“ das falsche Wort ist

Youtube-Beitrag: „Darf man das sagen?“

Phil Hubbe mit seinen „behinderten Cartoons“